Wo heute Spazierende flanieren und Traktoren die Ackerflächen bestellen, befand sich vor gut 2000 Jahren eine keltische Stadt. Das sogenannte Oppidum im Einfamilienhausquartier in Roggwil, Fryburg, wurde 2008 zufällig entdeckt, als in der Baugrube eines Hauses am Ahornweg 1 der Rest einer Kellergrube aus der späten Eisenzeit (80 bis 50 v. Chr.) angeschnitten wurde. Die Entdeckung führte zu ausgedehnten Prospektionen – so wird die zerstörungsfreie Erkundung archäologischer Stätten genannt – auf den Ackerflächen der Flur Fryburg sowie zu einer engen Begleitung der Bauaktivitäten. Beide Massnahmen erbrachten zahlreiche Funde, die nun in einer neuen Publikation beschrieben und dargestellt werden. Sie ist das Ergebnis von 15 Jahren Forschung.
Keltische Stadt war gut gesichert und dicht bebaut
Dank den verschiedenen Untersuchungen des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern (ADB) haben sich die Kenntnisse zum Oppidum von Roggwil in den vergangenen 15 Jahren stark erweitert. Heute wissen wir, dass sich die keltische Stadt auf einer Fläche von rund 23 Hektaren ausdehnte. Die Stadt war durch ihre Lage auf einem von Flussläufen umgebenen Plateau gut gesichert. Eine monumentale Befestigung bot zusätzlichen Schutz. Reste davon haben sich bis heute im Terrain als sanfte Senke (Graben) und als leichte Erhebung (Wall) erhalten.
Mittels Prospektionen, kleinflächigen Sondierungen und Baubegleitungen wurden Gebäudereste untersucht und Fundmaterial geborgen. Dies alles liefert Hinweise auf die Bebauung im Innern der Stadt. Ihre Auswertung erlaubt es, die Geschichte der vor gut 2000 Jahren verschwundenen Stadt in Roggwil zu rekonstruieren. So kann aus der Analyse umfangreicher Produktionsreste etwa auf eine keltische Münzprägung und eine umfangreiche Metallverarbeitung im Oppidum geschlossen werden. Die geophysikalischen Messergebnisse sprechen zudem für eine dichte Bebauung der Siedlungsfläche.
Für archäologisches Kulturerbe sensibilisieren
Mit der Publikation vermittelt der ADB sein Wissen zum Oppidum von Roggwil an Fachkreise und die interessierte Öffentlichkeit. Die Buchpräsentation im Oberstufenzentrum Roggwil ist eine gute Gelegenheit, vor Ort auf die Bedeutung der Fundstelle hinzuweisen. Zwei Informationstafeln, die mit Unterstützung der Einwohnergemeinde Roggwil errichtet worden sind, und öffentliche Führungen sollen die Bevölkerung für das archäologische Kulturerbe sensibilisieren. Es ist faszinierend, dass dieses Erbe lange Zeit unerkannt unter Feldern und in Vorgärten erhalten geblieben und Zeugnis einer überraschend reichen Geschichte ist. Deshalb ist es wichtig, dass die Fundstelle mit Sorgfalt geschützt wird und kommenden Generationen erhalten bleibt.
Roggwil/Morgiodunon: ein Oppidum der Helvetier
Im Kanton Bern sind bislang erst zwei mit Roggwil vergleichbare keltische Städte bekannt: Bern/Brenodor und Studen/Petinesca. Alle drei liegen im Gebiet der keltischen Helvetier, welche kurz vor der Zeitenwende die erste Hochkultur in der Schweiz entwickelten. Vieles, was wir von ihnen wissen, stammt von Iulius Caesar, der in einem Feldherrenbericht den Gallischen Krieg um 50 v. Chr. beschrieb. Archäologische Entdeckungen erweitern die Kenntnisse der damaligen Siedlungslandschaft. Zudem haben sich vielerorts keltische Orts-, Gewässer- oder Flurnamen erhalten, bei Roggwil etwa die Namen Murg und Murgenthal. Letzterer lässt sich auf keltisch Morgiodunon zurückführen. Er bedeutet «Stadt an einer Grenze» und war wohl der Name des Oppidums von Roggwil.
Angaben zur Publikation
Andrea Francesco Lanzicher, Das Oppidum von Roggwil. Eine 2008 entdeckte keltische Stadt im Schweizer Mittelland. Hefte zur Archäologie im Kanton Bern 9 / Cahiers d’archéologie du canton de Berne 9. Bern 2022. 448 Seiten, 237 Farbabbildungen, 20 Tafeln. Preis: 46 Franken. ISBN 978-3-9525057-8-6.
Erhältlich beim Archäologischen Dienst des Kantons Bern, adb.sab@be.ch, Tel. 031 633 98 00, oder im Buchhandel.
Öffentliche Buchpräsentation und Führung
Donnerstag, 31. März 2022, 18 Uhr, Aula Oberstufenzentrum, Sekundarschulstrasse 10, 4914 Roggwil. Mit Hans Ulrich Glarner, Vorsteher Amt für Kultur, Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern, Adrian Glur, Vizegemeindepräsident Roggwil, und Adriano Boschetti, Leiter Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Kantonsarchäologe. Den thematischen Schwerpunkt der Veranstaltung bildet ein Vortrag von Andrea Francesco Lanzicher, wissenschaftlicher Projektleiter Ressort Frühgeschichte und Römische Archäologie und Hauptautor des Buches.
Vorgängig zur Buchvernissage führt der Hauptautor durch das Oppidum von Roggwil. Bei dem einstündigen Rundgang werden die oberflächlich sichtbaren Reste der Befestigung und die wichtigsten Fundorte im Innern der einstigen Stadt erklärt.
- Treffpunkt: Parkplatz Freibad Roggwil, 16.30 Uhr, beschränkte Platzzahl
- Anmeldung: bis 28. März 2022 an andrea.lanzicher@be.ch
- Wetterfeste Kleidung und gutes Schuhwerk werden empfohlen.
Mediendokumentation
- Cover der 2022 erschienenen Monografie «Das Oppidum von Roggwil». © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Eliane Schranz
- Ausgrabung im Bereich der Befestigung des Oppidums von Roggwil 2015. Im Bildvordergrund und -zentrum der Südteil des Befestigungsgrabens. Die sanfte Erhebung im Bildhintergrund mit der Häuserzeile markiert den Verlauf des dazugehörigen Walls. © Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern, Johannes Wimmer
- Visualisierung der Informationstafel im Bereich der Befestigung des Oppidums von Roggwil. © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Max Stöckli